33 Songs: Nr.4

von Wolfgang Pollanz

4

Toussaint McCall

Nothing Takes The Place of You

Dieser Rhythm&Blues-Song ist eigentlich purer Kitsch, Herz zerreißend und gleichzeitig von einer spröden Schönheit. Er hat alle Ingredienzien eines ergreifenden Lovesongs, allein der fette Orgelsound, der den Song trägt, versetzt einen, je nach Stimmung, in eine verrauchte Bar irgendwo im Süden der USA oder in die Gospel Church verschmähter oder verlorener Liebe. Großartig auch die Stimme des Sängers und Organisten McCall, der „Nothing Takes The Place of You“ 1967 auf dem kleinen Plattenlabel Ronn Records veröffentlichte.

Der Song von Toussaint McCall war 1967 in den amerikanischen Charts nur an 52. Stelle, jedoch in den Rhythm and Blues Charts, kurz R&B, immerhin an der fünften Position, weil es damals selbst dort eine Rassentrennung gab und man die Musik der Schwarzen, die man zunächst als „race music“ bezeichnet hatte, von den Hitlisten der weißen Musiker trennte. Im Juni dieses Jahres wurde beispielsweise auch erst das in 16 Bundesstaaten noch bestehende Eheverbot zwischen Weißen und Schwarzen vom Obersten Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt, und ein Bühnenkuss zwischen einem schwarzen Mann und einer weißen Frau in dem Stück „The Great White Hope“ von Howard Sackler konnte im Dezember 1967 noch einen Skandal verursachen. Sackler wandte sich später allerdings anderen Themen zu und schrieb unter anderem die Drehbücher zu „Der weiße Hai“ und „Der weiße Hai 2“. Die Sechziger Jahre waren ja in den Staaten nicht nur vom Vietnamkrieg, sondern vor allem auch durch die Bürgerrechtsbewegung geprägt, von gewaltlosem Protest wie Martin Luther Kings berühmten Marsch auf Washington und vom zivilen Ungehorsam gegen die Rassentrennung, aber auch immer wieder von Angriffen rassistischer Gewalttäter einerseits, Aufruhr in den Großstädten andererseits. 1965 war es etwa in Watts, einem Stadtteil von Los Angeles, zu sechstägigen Rassenunruhen gekommen, die von der Nationalgarde beendet wurden. Jimi Hendrix’ Song „House Burning Down“ bezieht sich auf die Ereignisse ebenso, wie Frank Zappas „Trouble Every Day“.

In Toussaint McCalls Song geht es aber abseits jeglicher politischer Bezüge um eines der ganz großen Themen der Menschheit, egal ob weiß, ob schwarz, es ist ein allgemein gültiges: Ein Mann wird von einer Frau verlassen und leidet wie ein Hund. Weil er ihr Bild nicht mehr sehen will, nimmt er es von seinen Wänden, nur um zu erkennen, das nichts den Platz der geliebten Frau einnehmen kann. Und da alles so traurig ist, liest er ihre Briefe immer wieder und immer wieder, aber nichts, absolut nicht kann ihre Anwesenheit ersetzen. Doch dann, an einem regnerischen Tag, man stellt sich einen lauwarmen, fast subtropischen Niederschlag irgendwo im Süden der USA vor, setzt er sich hin und schreibt, nein, nicht diesen Song, sondern diesen Brief, „I“, das Ich wird wiederholt, so als wäre sich der Autor unsicher, ob er überhaupt davon erzählen soll, „I write this letter“, heißt es da und man fragt sich, ist er es, der Abbitte leisten möchte, bittet er die Geliebte um Verzeihung, ist er so traurig, so „blue“, weil er selbst daran schuld ist, dass die Frau ihn verlassen hat? Wir werden es nie erfahren. Vielleicht ist es auch nur eine Wendung, die dem Schreiber des Songs passiert ist, weiß man doch, dass viele Autoren sich in ihrer Arbeit vorstellen, sie schrieben ihre Text für bestimmte, manchmal auch imaginäre Personen, um ihr Werk nicht völlig ins Leere hinein zu verfassen. McCalls Brief ist immerhin bei seinen Hörern angekommen, er selbst ist danach fast völlig in Vergessenheit geraten. In John Waters Film „Hairspray“ aus dem Jahr 1988 gibt es noch einen Auftritt des Sängers mit diesem einen Song. McCall hat noch weitere aufgenommen, die haben aber niemanden mehr interessiert. Er ist und bleibt ein klassisches One Hit-Wonder.

[Die ungekürzte Version dieses Artikels erscheint 2013 in der Edition Keiper in der Publikation „Wolfgang Pollanz – 33 Songs“]