33 Songs: Nr.1

von Wolfgang Pollanz

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Pearls Before Swine

Rocket Man

Jemand hat mir einmal gesagt, er fände es ärgerlich, eine Band wie Pearls Before Swine zu mögen. Dem habe ich widersprochen und einige Zeilen aus dem Song „Rocket Man“ sogar als Motto einem Kapitel meines Buches „Das Seufzen meiner Mutter“ vorangestellt. Derjenige, der Pearls Before Swine nicht nur nicht mochte, sondern es möglicherweise sogar hochnotpeinlich fand, dass jemand sich zu einer Band wie dieser bekennt, war der Lektor eines Verlages und er gestand mir, er fände es weit besser, als Motto beispielsweise eine Zeile aus einem Schlager von, sagen wir mal, Karel Gott, dem tschechischen Ostblockcrooner, dem Reserve-Tom Jones aus Prag, voranzustellen, denn dies sei zwar auch peinlich, aber auf politisch korrekte Weise. Alte Hippie-Bands wie Pearls Before Swine gingen gar nicht, die seien weder Camp noch zeuge deren Erwähnung von Dandy- oder gar Hipstertum.

Dabei gehörte die Band einmal zur Speerspitze der Avantgarde und veröffentlichte ihre ersten beiden Alben auf dem New Yorker Label ESP-Disks, das sich ab 1964 vor allem mit Free Jazz einen Namen machte und ab der Mitte der Sechziger Jahre so obskure Rock-Acts wie die protopsychedelische Garagen-Band The Godz oder die großartigen The Fugs mit den Beat-Poeten Tuli Kupferberg und Ed Sanders veröffentlichte. Sanders fand mit seinem 1971 erschienenen, akribisch recherchierten Buch „The Family“ auch in Europa seine Leser, einem Buch über Charles Manson, der glaubte Jesus und Satan in einer Person zu sein und seine apokalyptischen Wahnvorstellungen auf den Song „Helter Skelter“ vom Weißen Album der Beatles bezog. Vor seiner Zeit als Prophet und Sektenführer hatte dieser auch Ambitionen als Musiker gehabt, gemeinsam mit Dennis Wilson sogar einen Song für die Beach Boys geschrieben, der es auf die B-Seite der Single „Bluebirds Over the Mountain“ und auf die LP „20/20“ schaffte, und Kontakt zum Musikproduzenten Terry Melcher gepflegt, dem Sohn von Doris Day. In dessen früherem Haus am Cielo Drive in Los Angeles wurde bekanntlich Sharon Tate, die zum Zeitpunkt der Tat von ihrem Mann Roman Polanski schwanger war, Opfer der Manson-Kommune. Kurz vorher war Polanskis berühmter Film „Rosemary’s Baby“ erschienen, in dem es um Aberglauben, Exorzismus, Hexenjagd und Wahnvorstellungen geht.

Ray Bradbury, der wunderbare Autor von „Fahrenheit 451“ oder „The Martian Chronicles“, nannte, wie man in seiner Biografie nachlesen kann, Polanskis Werk einen dummen Film und hat in einem Essayband über Horrorfilme im Jahr 1972 gar ein neues Ende dafür vorgeschlagen. Aus seinem Erzählband „Der illustrierte Mann“ stammt auch die Geschichte des Raumfahrers, auf dem „Rocket Man“ von Pearls Before Swine basiert. „Die elektrischen Leuchtkäferchen schwebten über Mutters dunklem Haar, um ihr den Weg zu leuchten“, beginnt Bradburys Short Story, die Tom Rapp, der Sänger und Songschreiber der Band, auf das Wesentliche verknappt hat. Es ist eine Geschichte von Tod und Verlust, eine Mutter und ihr Sohn gehen niemals aus dem Haus, wenn die Sonne scheint, weil sie daran erinnert werden, dass der Vater, ein Raumfahrer auf einem Flug in die Sonne gefallen und dort verglüht ist. „To escape the pain, we only went out when it rained“, heißt es in dem Song, der auf der ersten Seite von Tom Rapps Meisterwerk „The Use of Ashes“ aus dem Jahr 1970 erschienen ist. Dort findet sich auch  „The Jeweler“, den ich ursprünglich in einer Coverversion der englischen Kunstband This Mortal Coil aus den Achtziger Jahren entdeckt habe. Schon deren Version war wahrlich zu Herzen gehend. Hören sollte man aber die Originale von Pearls Before Swine, dieser alten Hippie-Band. Tom Rapp, der sich Mitte der Siebziger aus dem Musikbusiness zurückzog und als Rechtsanwalt arbeitete, gibt mit seinem offensichtlichen Sprachfehler, einem nicht zu überhörenden Sigmatismus, den Songs einen ganz eigenen Charme, dem man sich nur schwer entziehen kann.

[Die ungekürzte Version dieses Artikels erscheint 2013 in der Publikation „Wolfgang Pollanz – 33 Songs“]